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24.10.24 / Freie Presse, Kultur: Bühnenreife im Eigenbau

Michael Straube, Sebastian Wildgrube und Selina Chervenkov vom Musical-Team Markneukirchen FOTO: KATRIN MÄDLER

Das Gymnasium Markneukirchen zeigt seit 30 Jahren aufwändige Musicals, die regelmäßig auf regulären Theaterbühnen bestehen und fast immer ausverkauft sind. Viele der einst beteiligten Schüler sind heute Profis. Wie kommt das?

Von Katrin Mädler (zum Artikel)

Markneukirchen – Besucht man diese Woche das König-Albert-Theater in Bad Elster, kann man schon irritiert sein: Dieses Spektakel auf der Bühne, die 70 Akteure bei Soundchecks, Kostümproben und allabendlichen Aufführungen – das sind wirklich Schüler? Bei diesem Niveau von Bühnenkunst? Wo beginnt Berufung? Und wann Professionalität?

Dass Gymnasiasten auch mal ein Musical einstudieren, ist deutschlandweit meist nur für diese selbst aufregend – und ihre Eltern, die dann in der Aula mitklatschen. Doch so darf man sich das in der vogtländischen Musikstadt Markneukirchen nicht vorstellen: Dort entstehen regelmäßig semiprofessionelle Aufführungen, mit denen die Mädchen und Jungen einmal im Jahr Theaterbühnen ausverkaufen – weil sie einem „echten“ Ensemble in nichts nachstehen.

Seit jetzt 30 Jahren ist die Schule schon für ihre Musical-Großprojekte bekannt. „Criminal Tango“ heißt die diesjährige Produktion, bis Sonntag bringt sie es auf zwölf lange ausverkaufte öffentliche Vorstellungen, in denen längst nicht mehr nur Eltern und Freunde der Darsteller sitzen: Die Qualität lockt auch Sponsoren aus der Region, und viele Absolventen sind inzwischen selbst in der Musik- und Bühnenbranche tätig sind.

Sie alle vermitteln eine Stimmung, einen Geist, der hier herrscht, der zuverlässig im Zweijahres-Aufführungsrhythmus hochkommt und der mit Stolz zu tun hat, mit Freude am Geschaffenen, mit einem Sich-Vergessen in der Sache.

Den Mitwirkenden am diesjährigen Musical-Durchgang ist anzumerken, was es für sie bedeutet, beim Jubiläum dabei zu sein: „Ist eine Ehre“, „bedeutende Tradition“, „große Geschichte unserer Schule“ hört man immer wieder. Musicals aus Markneukirchen sind mittlerweile eine Marke über viele Schülergenerationen hinweg.

„Irgendwie hat es mit Herzblut zu tun“, sagt Musiklehrer Michael Straube, quasi der „Musical-Vater“: 1994 entwickelte er mit seinen damaligen Schülern die Idee, ein eigenes Stück aufzuführen. Doch was im „normalen“ Rahmen begann, zog schnell immer größere Kreise: Schüler komponierten selbst ganze Stücke, ersannen professionelle Choreografien, kümmerten sich um theatertaugliche Bühnenbilder, stellten Bands und Orchester aus eigenen Reihen zusammen. Die Aula des Gymnasiums platzte schnell aus allen Nähten, die Aufführungen wurden so erfolgreich, dass man ins Vogtlandtheater Plauen ausweichen musste, später ins nahe gelegene König-Albert-Theater. Anfang der Nuller musste die Schulleitung gar eingreifen: Die aufwändigen Eigenproduktionen und ihre Vorbereitung behinderten teilweise den Unterricht – immerhin galt es auch noch, das Abitur abzulegen. Die Lösung: Man einigte sich auf einen Zwei-Jahres-Zyklus für Neuproduktionen, dazwischen gibt es „nur“ Best-Of-Shows mit den Höhepunkten der beliebtesten Schulmusicals.

19 Projekte wurden seither verwirklicht. Mit jeweils einem Casting, eineinhalb Jahren Vorbereitung und Proben, Stücke schreiben, Musik komponieren, arrangieren. Die schulischen Großereignisse wurden zu einem Lehrstück darüber, was es bedeuten kann, ein Gefühl weiterzugeben, das mit einer kreativen Aufbruchsstimmung zu tun hat, und dem Drang, auf den Wegen der Kunst etwas zu schaffen, das einen Wert hat: Ein Gefühl, das sich verselbstständigt hat und viele ehemalige Schüler ein Leben lang begleiten kann.

So beschreibt es jedenfalls Sebastian Wildgrube, einer der wichtigsten „Straube-Lehrlinge“. 2002 stand er erstmals beim Musical mit auf der Bühne. Jetzt als Berufsmusiker und Lieder-Arrangeur bildet er mit seinem früheren Lehrer eine Art Zweigespann und kehrt für die Projekte an seine Schule zurück. 2026 wird sich wieder einmal ein eigenes Wildgrube-Musical gewünscht, heißt es. Es wäre das Dritte.

„Criminal Tango“ dagegen stammt von Benjamin Petschke, heute Schauspieler am Theater Rudolstadt. Er schrieb den Text in seiner Schulzeit und bildete damit den Grundstein für das Musical 2002: Straube komponierte die Musik. Für die aktuelle Jubiläumsausgabe wurde es nochmal frisch überarbeitet.

„Nicht jeder Ex-Akteur wird Berufsmusiker“, sagt Straube. Aber: die Bühne lasse viele nicht los. „Man findet sie in Bands, Kapellen, Tanzgruppen.“ Mehr Sinn kann ein musisches Profil wohl nicht machen. Auch wenn die musische Markneukirchner Ausrichtung verschiedene Schwerpunkte bildet und nicht nur die Musical-Arbeit umfasst, wird gerade diese zum Aushängeschild für eine Schule und eine ganze Stadt, die sich ja ohnehin über Musik definiert. Dazu kommen hier Ballett, Bühnentechnik, Regie oder Kostümbild, die alle von einem Leitungsteam aus ehemaligen Markneukirchner Schülern abgedeckt werden.

„Ohne das Team wäre das Musical in dieser Qualität nicht mehr zu stemmen“, so Straube. „Aber der Faktor Herz überwiegt, man rechnet längst nicht jede Stunde der geleisteten Arbeit an“, ergänzt Wildgrube. Gelehrt wird komödiantisches Geschick, schauspielerische Leistung, Singen und Tanzen auf den Punkt. „Nicht umsonst zählt ein Musical durch die Vielfalt mit zur schwersten Bühnenkunst“, erklärt Straube. Und es zeigt sich, was alles möglich ist, wenn man Schüler machen lässt und gleichzeitig ihre Liebe zur Kunst anzündet.

Das Ergebnis beeindruckt auch beim jetzigen Durchgang. Und wie viele andere aktuell im König-Albert-Theater, taugen auch Straube und Wildgrube als Vorbilder, sitzen mit auf der Bühne in Band und Orchester und zeigen, dass sie nicht nur Lehrer oder im Berufsleben angekommene Ehemalige sind – sondern besonders und vor allem leidenschaftliche Musiker. Und auch bei den Schülern selbst fallen bereits wieder Talente auf in Gesang oder schauspielerischer Präsenz, denen zu wünschen ist, dass sie das Spiel der Bühne weiterverfolgen.